Olivia Wassner: Von den Juniorinnen in Obfelden nach Washington, D.C.

#TeamSuisseGoesEURO

Olivia Wassner ist erst 19 Jahre alt und dennoch bereits eine feste Grösse im Schweizer Volleyball. Zusammen mit dem Nationalteam konnte die Zuspielerin kürzlich ihren bislang grössten Erfolg ihrer noch jungen Karriere feiern und sich für die EM-Endrunde qualifizieren. Mit welchen Erwartungen sie an dieses Turnier reist, wieso sie sich dazu entschieden hat, Volleyball in Washington D.C. zu spielen und was es mit den Ärzten ohne Grenzen auf sich hat, erfährst du hier.

Der Rummel war gross um die erst 19-jährige Zürcherin, als sie im Januar mit dem Schweizer Frauen Nationalteam die erfolgreiche EM-Qualifikation feiern konnte. Mittlerweile ist der Alltag wieder eingekehrt und Olivia bereits wieder in die USA nach Washington D.C. zurückgereist, wo sie an der American University studiert und Volleyball spielt. Um zu erfahren, wie es überhaupt dazu gekommen ist, müssen wir erst einige Jahre zurückspulen.

Wie bei vielen anderen Volleyballerinnen und Volleyballern ist ein Familienmitglied nicht ganz unschuldig, dass der Weg in eine Volleyballhalle geführt hat. In Olivias Fall war es ihre ältere Schwester, die bei den Juniorinnen in Obfelden spielte und aufgrund knapper Personalressourcen im Training ihre jüngere Schwester in ein solches einlud. Ziemlich bald wurde dann dem Trainer das Potential der jungen Affolterin bewusst und er meldete sie für ein SAR-Sichtungstraining an. Von da an begann der rasante Aufstieg via Jugend –und Juniorinnen Nationalteam, Talent School Zürich, Volero Zürich (1.Liga), Steinhausen (NLB) und schliesslich Volley Luzern (NLA). Nach einer Saison bei den Luzernerinnen wurde Olivia erstmals fürs Elite Nationalteam aufgeboten. 

Der Traum von den USA

Olivias Traum war es schon früh, im Ausland zu studieren und dort auch Volleyball zu spielen – am liebsten in den USA. Als sie dann nach einem Turnier mit dem Jugend Nationalteam in Russland ein Angebot einer amerikanischen Universität erhielt, nahm dieser Traum konkrete Konturen an. Olivia prüfte zunächst noch diverse weitere Optionen, entschied sich dann aber, das Angebot der American University in Washington D.C. anzunehmen. Dort sollte sie Sport und Studium optimal miteinander verbinden können.

Mittlerweile lebt Olivia bereits das zweite Jahr in Washington D.C., studiert dort Neurowissenschaften und verteilt als Zuspielerin des Universitätsteam ihre Bälle in der höchsten amerikanischen Liga (keine Profiliga, Modus siehe Box unten). Vom Niveau her beschreibt sie diese wie folgt: «Die schwächsten Teams haben in etwa mittleres NLB Niveau, die stärksten Teams aber würden die besten NLA Teams schlagen», so die 19-jährige.

Im Vergleich zur Schweiz hebt Olivia nebst der besseren Infrastruktur besonders die Mentalität zum Sport der Amerikaner und Amerikanerinnen hervor. «Wenn ich hier von einem Mitstudenten gefragt werde, was ich an der Uni studiere und ich ihm sage, dass ich im Uni-Team Volleyball spiele, erstarrt dieser beinahe vor Ehrfurcht und Anerkennung. In der Schweiz würden die Leute wohl eher fragen, was ich denn noch «richtiges» arbeiten würde.»

Sympathische Leute, weniger sympathischer Lifestyle

Während Olivia im ersten Jahr noch auf dem Campus lebte, wohnt sie inzwischen mit zwei Mitspielerinnen in einer WG. Dennoch hat sie natürlich auch manchmal Heimweh, vermisst vor allem ihre Familie, ihren Freund und ihre Freunde. Besonders der Umstand, dass sie ihre zwei vierjährigen Zwillingsschwestern nicht aufwachsen sieht, ist hart für sie. 

In den USA schätzt Olivia dafür die offenherzigen Leute und die schier unendliche Weite des Landes. Auch sie findet aber nicht alles toll: «Mir gefällt es, wie viel Platz es hier im Vergleich zur kleinen Schweiz gibt. Nur mit dem Lifestyle komme ich nicht so recht klar, dieser ist mir zu materialistisch und zu sehr auf Konsum ausgelegt», so die naturbezogene Schweizerin. Die Zürcherin hat bereits einiges von den USA gesehen, war etwa in Kalifornien, Kansas und New York, zudem möchte sie unbedingt den Grand Canyon, den Yellow Stone Park und weitere Nationalparks besuchen.

EM im August – ein Traum wird wahr

Für Olivia ist mit der Qualifikation für die EM-Endrunde im August ein Traum wahrgeworden. «Früher dachte ich immer, wow, an der EM spielen nur die richtig guten Teams und jetzt sind wird plötzlich mittendrin!», freut sich die 25-fache Schweizer Nationalspielerin. Die Vorfreude auf die EM ist demnach auch riesig und Olivia wird alles geben, um sich von ihrer bestmöglichen Seite zu präsentieren und fügt an: «Unabhängig davon, wie es resultatmässig für uns ausgehen wird, wird es sicherlich eine mega-coole Erfahrung». 

Nach dem Studium ist vor dem Studium

Ob Olivia ihren Abschluss in den USA machen oder vorher wieder in die Schweiz zurückkehren wird, lässt sie noch offen. Klar hingegen ist, dass es Olivias momentaner Wunsch ist, nach dem Bachelor in Neurowissenschaften noch ein Medizinstudium anzufügen. Dass dieser Weg lang und schwierig sein wird, ist sie sich bewusst, will ihn aber dennoch gehen: «Mein Traum ist es, nach dem Medizinstudium für die Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten», so die smarte Studentin.

Wie es mit dem Volleyball weitergehen soll, lässt Olivia ebenfalls noch offen. Durchaus vorstellen könnte sich die junge Zuspielerin mit tschechischen Wurzeln jedoch, einmal im Heimatland ihrer Mutter zu spielen. Doch zuerst steht nun einmal die EM mit dem Nationalteam im Fokus und ganz im Sinne ihrer jugendlichen Unbeschwertheit fügt die abgeklärte Zuspielerin gut gelaunt hinzu: «Mit der EM hatte ich einen Traum, der nun Wirklichkeit wird. Wieso sollte ich nun nicht einen neuen Traum namens WM träumen dürfen?». 

Infobox: Modus USA

Die Saison in der höchsten Liga (Division 1) der USA ist kürzer als in der Schweiz und geht von August bis Ende November oder je nach dem bis Mitte Dezember. Die Saison kann in drei Teile unterteilt werden:

1. Teil | Pre-Season: die Vorbereitungsphase. Der Trainer arrangiert bereits ein Jahr im Voraus Spiele mit anderen Universitäten für die «Pre-Season». Die gewonnenen Punkte zählen bereits für das Nationale Ranking.

2. Teil | Liga: es gibt 32 «Leagues» in der Division 1 mit je etwa 10 Teams. Die American University spielt z.B. in der Patriot League. Gegen jedes Team findet je ein Heim- und Auswärtsspiel statt. Die vier besten Teams der Liga spielen anschliessend am «Final Four Tournament» und der Sieger reist dann an das «National Tournament», wo alle Sieger der 32 Ligen sowie 32 weitere Teams (eingeladen aufgrund des Rankings) gegeneinander antreten. Für die restlichen Teams ist die Saison vorbei (Ende November).

3. Teil | National Tournament: die Phase, in der der amerikanische Meister ermittelt wird. Die American University konnte letztes Jahr als Sieger der «Patriot League» ans «National Tournament» reisen und sich gegen die besten Teams der USA beweisen. Diese Saison verpassten sie die Qualifikation für das «National Tournament» als zweite des «Final Four Tournament» ganz knapp. 

Fotos von Olivia Wassner im Nationalteam: Thomas Läderach